(aus: Rundbrief 2016/1)

Die kurzfristig bekannt gegebene, aber von langer Hand vorbereitete Begegnung zwischen Papst Franziskus und Patriarch Kirill von Moskau und Ganz Russland im Flughafengebäude der kubanischen Hauptstadt Havanna am 12. Februar 2016 fand zurecht große Beachtung in der Weltöffentlichkeit und in den Medien, handelte es sich doch um das erste Treffen zwischen einem Oberhaupt der Röm.-kath. und der Russ.-orth. Kirche überhaupt, während die Begegnungen zwischen dem Papst und dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel seit dem historischen Treffen von Papst Paul VI. und Patriarch Athenagoras am 6./7. Jänner 1964 in Jerusalem fast zur Routine geworden sind.

Wie in Artikel 8 der bemerkenswerten Gemeinsamen Erklärung von Papst Franziskus und Patriarch Kirill deutlich ausgesprochen, stand die Begegnung in Havanna nicht zuletzt unter dem Eindruck der Entwicklung im Nahen Osten. Das Augenmerk der beiden Kirchenführer richtete sich „in erster Linie auf die Gebiete in der Welt, wo die Christen Opfer von Verfolgung sind. In vielen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas werden Familien, Dörfer und ganze Städte unserer Brüder und Schwestern in Christus ausgelöscht. Ihre Kirchen werden verwüstet und barbarisch ausgeplündert, ihre sakralen Gegenstände profaniert, ihre Denkmale zerstört. In Syrien, im Irak und in anderen Ländern des Nahen Ostens stellen wir mit Schmerz eine massenhafte Abwanderung der Christen fest, aus dem Gebiet, in dem sich unser Glaube einst auszubreiten begonnen hat und wo sie seit den Zeiten der Apostel zusammen mit anderen Religionsgemeinschaften gelebt ha­ben.“

Zwei Begegnungen auf höchster Ebene sind hervorzuheben, die 2015 im Gedenken an den Völkermord vor 100 Jahren stattfanden und vielleicht nicht unwesentlich zum Zustande kommen des Treffens in Havanna beigetragen haben: Die Begegnung des syr.-orth. Patriarchen Mar Aphrem II. mit Papst Franziskus und jene mit Patriarch Kirill.

Am 19. Juni 2015 empfing Papst Franziskus Patriarch Aphrem im Vatikan und erinnerte dabei an das beim ersten Treffen zwischen Papst Paul VI. und Patriarch Mor Ignatius Jakob III. unterzeichnete Glaubensbekenntnis (die „Wiener christologische Formel“), mit dem eine „heilige Pilgerreise“ zur vollen Gemeinschaft zwischen beiden Kirchen begann. Dann kam der Papst auf das schreckliche Leid zu sprechen, das die Syr.-orth. Kirche als Märtyrerkirche, die sie von Anfang an war, zu erdulden hat: „… in diesem Augenblick harter Prüfung und des Schmerzes wollen wir unsere Bande der Freundschaft und Brüderlichkeit zwischen der Kath. Kirche und der Syr.-orth. Kirche stärken.“

Am 10. November 2015 empfing Patriarch Kirill Patriarch Aphrem II. im Danilow-Kloster in Moskau. Es war der erste Besuch eines Oberhaupts der Syr.-orth. Kirche seit der Anwesenheit von Patriarch Ignatius Mor Zakka I. bei den Millenniumsfeiern im Jahr 1988. Auch dabei stand das Schicksal der be­drängten Christen im Nahen Osten im Vordergrund: Wie Papst Franziskus und wie auch die Gemeinsame Erklärung vom 12. Februar sprach er sein tiefstes Mitgefühl angesichts der Unsicherheit über das Schicksal der beiden vor zwei Jahren verschleppten Metropoliten von Aleppo, Gregorios Yohanna Ibrahim (syr.-orth.) und Paul Yazigi (griech.-orth.), aus.

Gottfried Glaßner OSB

Bestärkung der Bande der Brüderlichkeit angesichts der leidgeprüften Christen im Orient