Den folgenden Bericht hat uns Prof. Erich Leitenberger, Pressesprecher der Stiftung PRO ORIENTE, dankenswerterweise zur Verfügung gestellt. Zum hier abgedruckten Text sind noch zwei Fortsetzungen vorgesehen.

Melkitischer griechisch-katholischer Patriarch Yousef I. Absi war in Wien Ehrengast einer Veranstaltung des Ordinariats für die Gläubigen der katholischen Ostkirchen zum Tag der Heiligen Barbara

Wien, 04.12.19 (poi) „Damit der Krieg in Syrien aufhört, muss den Einmischungen aus dem Ausland Einhalt geboten werden“: Dies betonte der melkitische griechisch-katholische Patriarch Yousef I. Absi am Dienstagabend in Wien. Der Patriarch war Ehrengast einer Veranstaltung des Ordinariats für die Gläubigen der katholischen Ostkirchen in Österreich zum Tag der Heiligen Barbara. Die Veranstaltung im „Club Stephansplatz 4“ war der melkitischen Kirche gewidmet. Der Patriarch unterstrich, dass eine Friedenslösung für Syrien drei Voraussetzungen habe: Die Bereitschaft, Aufrechnungen der Vergangenheit zu unterlassen, den ehrlichen Willen, „miteinander“ zu leben und den Aufbau des Staates auf einer Bürgerschaft mit gleichen Rechten und Pflichten für alle Syrer. Gleichheit und Brüderlichkeit seien letztlich Werte aus dem Evangelium, unterstrich Yousef I., das habe er vor kurzem auch dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron deutlich gesagt. Für die Christen Syriens komme es darauf an, dass sie in der angestammten Heimat bleiben können. Keinesfalls seien sie bereit, sich als „Minorität“ behandeln zu lassen, eine Konzeption, die sowohl in muslimischen als auch in westlichen Kreisen verbreitet sei: „Wir sind die ursprünglichen Bewohner des Landes“.

Eher zurückhaltend äußerte sich der melkitische Patriarch über die am 4. Februar von Papst Franziskus und dem Großimam der Al-Azhar-Universität, Ahmed al-Tayyeb, in Abu Dhabi unterzeichnete „Gemeinsamen Erklärung über Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“. Yousef I., der bei der Unterzeichnung in Abu Dhabi persönlich anwesend war, stellte fest: „Wir als Christen haben dieses Dokument sehr ernst genommen. Aber der Großimam wurde von islamischer Seite verschiedentlich kritisiert, er habe die islamische Konzeption nicht präsentiert“. Er habe den Eindruck, dass viele Muslime sich nicht ernsthaft mit dem Dokument auseinander setzen, bedauerte der Patriarch. Bei der Konferenz in Abu Dhabi sei viel Schönes gesagt worden, „aber dann hat uns die Wortmeldung eines Scheichs aus Libyen wieder den Unterschied im Denken bewusst gemacht, als er sagte: Wir glauben nicht an menschliche Brüderlichkeit“. Kritisch betrachtet der Patriarch auch die Haltung des Westens zur Rückkehr der Flüchtlinge nach Syrien, er habe das auch Präsident Macron sehr deutlich zu verstehen geben müssen: „Der Westen will keine Rückkehr der Flüchtlinge vor dem Wiederaufbau. Und als Bedingung für den Beginn des Wiederaufbaus sieht er einen Regimewechsel in Damaskus an“.

Positiv bewertete Yousef I. das Treffen der orientalischen Patriarchen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Budapest am 30. Oktober. Putin habe damals während seines Besuchs bei Ministerpräsident Orban selbst den Wunsch geäußert, mit den Patriarchen zusammenzutreffen. Bei dem Treffen habe der russische Präsident seinen Willen bekundet, den Christen im Nahen Osten zu helfen, „einschließlich materieller Hilfe“.

Mit Sorge sieht der Patriarch auch manche Entwicklungen in der Diaspora: „Die Kirche ist die einzige, die die Bewahrung von Sprache, Kultur, Spiritualität und Frömmigkeitsformen bei den neuen Generationen gewährleisten kann“. Aber die großflächige „Zerstreuung“ mache es für die melkitische Kirche schwierig, überall präsent zu sein. Aber die Kirche des lateinischen Ritus sei sehr hilfreich und unterstütze die Bemühungen des melkitischen Patriarchats.

Insgesamt zog Yousef I. eine gläubig-optimistische Bilanz „Wir Christen im Nahen Osten leben in einer schwierigen Situation. Aber Gott gibt uns Kraft“. Trotz der Probleme sei es eine „innere Freude“, dass „wir an das Wort Christi glauben dürfen“. Man könne sich die Länder des Nahen Ostens ohne Christen nicht vorstellen.

„Gebt uns die Möglichkeit, unsere Sicht der Dinge zu erzählen“

In Begleitung des Patriarchen war auch der für Australien zuständige melkitische Bischof Robert Rabbat – der in Sydney residiert – nach Wien gekommen. Bischof Rabbat formulierte im „Club Stephansplatz 4“ einen bewegenden Appell an die Katholiken im Westen, auch den orientalischen Christen die Möglichkeit zu geben, ihre Geschichte und ihre Sicht der Dinge zu erzählen. Im Westen gebe es im Blick auf den Nahen Osten eine sehr „einseitige“ Sicht: „Ganz abgesehen davon, dass Jesus Christus in Bethlehem geboren wurde, niemand denkt daran, dass der Heilige Paulus aus unserer Gegend kam, dass Damaskus die älteste Stadt der Welt ist und dass Abraham aus Ur in Mesopotamien aufbrach, um den Willen Gottes zu erfüllen“. Die nahöstlichen Christen hätten mitunter das Gefühl, wie andere Orientalen auch als „zweitrangig“ behandelt zu werden. Er sei Doppelstaatsbürger der USA und des Libanon, sagte der Bischof, er könne aus eigener Erfahrung berichten: „Wenn ich am Flughafen den US-amerikanischen Pass herzeige, werde ich durchgewinkt, wenn ich den libanesischen Pass vorweise, kann es schon vorkommen, dass ich beiseitegebeten werde und eine hochnotpeinliche Untersuchung und Befragung beginnt“.

„Was wir als Orientalen wollen, ist Fairness“; so der Bischof: „Natürlich werden bei uns viele Fehler gemacht, das stimmt. Aber muss man uns deswegen so abqualifizieren? Man könnte sich auch daran erinnern, dass Europa durch die Vermittlung der orientalischen Christen die Schätze der antiken Wissenschaft aus dem Nahen Osten empfangen hat“. Immer wieder gebe es das Gefühl, dass Menschenrechte gewissermaßen nur den Menschen des Westens zustehen, sagte Bischof Rabbat: „Das schmerzt und verletzt uns“.

Wo die Christen zuerst so genannt wurden

Bei der vom Generalvikariat für die Gläubigen der katholischen Ostkirchen in Österreich gemeinsam mit „Pro Oriente“ gestalteten Barbara-Feier schilderte der in Wien tätige melkitische Priester Hanna Ghoneim die Geschichte seiner Kirche. Er leitet die seit 2004 bestehende Wiener melkitische katholische Gemeinde, die sich allsonntäglich in der Pfarrkirche St. Thomas-Nussdorf im 19. Bezirk in der Greinergasse zur Liturgie versammelt. Patriarch Yousef I. wird am Samstag, 7. September, um 11 Uhr, zum Abschluss seines Österreich-Besuchs die Göttliche Liturgie dort feiern. Hanna Ghoneim stammt aus Damaskus, er hat an der Wiener Katholisch-Theologischen Fakultät studiert. Als er im Sommer 2012 wieder nach Wien kam, um seinen Urlaub mit der von ihm begründeten melkitischen Gemeinde zu verbringen, wurde seine Pfarre in Harasta, acht Kilometer östlich von Damaskus, von islamistischen Bewaffneten erobert, alle Christen mussten flüchten. Hanna Ghoneim entschloss sich, in Wien zu bleiben. Von hier aus entfaltete er ein großes Hilfswerke für die notleidenden Menschen in Syrien, das Christen, aber auch Muslime unterstützt. Trägerin des Hilfswerks ist jetzt die von Kardinal Christoph Schönborn im April 2016 begründete Stiftung „Korbgemeinschaft – Hilfe für Syrien“. Alle drei Monate fährt Ghoneim in die Heimat, um Hilfe zu bringen und die Lage zu beobachten. Derzeit ist die „Korbgemeinschaft“ vor allem in Damaskus, im Hauran-Gebirge, in Homs und in Aleppo tätig. Beispielsweise wird Binnenflüchtlingen bei der Begleichung von Mieten und Energiekosten geholfen, Bekleidung wird organisiert und ärztliche Versorgung vermittelt, der Aufbau von kleinen Betrieben wird unterstützt. Das aktuell größte Projekt ist die Errichtung einer Regionalbäckerei in Maaruneh bei Damaskus.

Im „Club Stephansplatz 4“ legte Pfarrer Ghoneim die Geschichte der melkitischen Kirche dar, deren Wurzeln in die Zeit des Urchristentums zurückreichen. In Antiochien, der damaligen Hauptstadt Syriens, wurden die Bekenner Jesu zum ersten Mal „Christen“ genannt. Die großen Traditionen aller Kirchen haben im Patriarchat Antiochien ihren Ursprung. Wie kaum ein anderes Kirchengebiet sei das Patriarchat aber auch von Spaltungen betroffen worden, die auf die großen theologischen Diskussionen der frühen Christenheit zurückgehen, vor allem auf die Auseinandersetzungen um die Frage, wie Jesus Christus zugleich „wahrer Mensch“ und „wahrer Gott“ sein kann. Heute tragen fünf Patriarchen im Nahen Osten den Titel „Patriarch von Antiochien“: Der griechisch-orthodoxe (auf arabisch: rum-ortodoks, d.h. „römisch-orthodox“), der melkitische, der syrisch-orthodoxe, der syrisch-katholische und der maronitische.

Das Konzil von Chalcedon im Jahr 451 habe einen langen Spannungsprozess eingeleitet, der in die Spaltung zwischen den „Diophysiten“, die sich auf die Unterstützung durch den Kaiser in Konstantinopel berufen konnten, und den „Monophysiten“, den einheimischen Syrern, endete. Pfarrer Ghoneim machte darauf aufmerksam, dass durch die „Christologische Formel“, die 1971 bei der ersten „Pro Oriente“-Gesprächsrunde zwischen katholischen und orientalisch-orthodoxen Theologen entwickelt wurde, diese Spaltung theologisch überwunden ist. Die Bezeichnung „Melkiten“ (von syrisch-aramäisch „malko“ für Kaiser) war zunächst ein Spottname für die „Kaisertreuen“, ebenso wie „Jakobiten“ für die monophysitischen Syrer. Im 6./7. Jahrhundert habe es dann auch gewalttätige Konflikte zwischen den beiden Gemeinschaften gegeben. Die Kirche von Antiochien sei dadurch dauerhaft geschwächt und die Eroberung des syrischen Raums durch den Islam begünstigt worden, stellte Hanna Ghoneim fest. Mit der islamischen Eroberung hätten die „Kaisertreuen“ politisch an Macht verloren, vor allem die „Jakobiten“ hätten durch ihre umfangreiche Übersetzungstätigkeit wissenschaftlicher Werke aus dem Griechischen die Verbreitung der arabischen Sprache gefördert.

Mit der Invasion der Mongolen sei Antiochien dann in Schutt und Asche versunken, erinnerte der melkitische Priester. Der Patriarchensitz wurde nach Damaskus verlegt. Der Kontakt der „Melkiten“ mit der Metropole am Bosporzs sei zwar erschwert worden, aber nie ganz abgebrochen, auch nicht nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen 1453. Auch die Liturgie von Konstantinopel sei in einem langsamen Assimilierungsprozess von Antiochien (ebenso wie von den beiden anderen „alten“ Patriarchaten in Jerusalem und Alexandrien) übernommen worden. Die Übernahme des byzantinischen Ritus habe die Melkiten aber nicht veranlasst, die syrisch-aramäische Sprache preiszugeben. Die griechischen Liturgiebücher seien vielerorts ins Syrische, später dann auch ins Arabische übertragen worden. 1517 seien die Osmanen in Syrien einmarschiert, zugleich entsandte die katholische Kirche zunehmend Missionare in den nahöstlichen Raum. In dieser Situation sei bei den „rum-orthodoxen“ Bischöfen die Tendenz gewachsen, die Kommuniongemeinschaft mit Rom zu suchen. Im Jahr 1724 wählten die Bischöfe mit katholischen Tendenzen einen Patriarchen in der Person von Kyrill VI. Tanas, der die Einheit mit Rom erklärte. Daraufhin wählte das andere Lager mit Unterstützung des Ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel und der „Hohen Pforte“ (der osmanischen Regierung) einen griechischstämmigen Patriarche namens Silvestros. Damit war, so Ghoneim, „ein neues Schisma vollzogen, das bis heute andauert“. Die mit Rom verbundenen Bischöfen bezeichneten sich zunächst als „Rum Katolik“ im Gegensatz zu „Rum Ortodoks“. Später bürgerte sich für die Unierten der Name „Melkiten“ ein, während sich die Orthodoxen als „Rum Ortodoks“ oder „antiochenisch-orthodox“ bezeichnen.

Die melkitische griechisch-katholische Kirche sei heute nicht nur im Nahen Osten, sondern seit dem späten 19. Jahrhundert zunehmend auch in der Diaspora verbreitet, betonte der Wiener melkitische Pfarrer. Es gebe 22 Eparchien, 16 im Nahen Osten und sechs in der Diaspora (vor allem in Nord- und Südamerika sowie Australien), dazu kommen noch vier Exarchate. Über die Zahl der Gläubigen gebe es keine verlässlichen Statistiken, Schätzungen belaufen sich auf 1,5 Millionen. Im Gegensatz zur „rum-orthodoxen Kirche“, die ein wachsendes monastisches Bewusstsein und eine Vielzahl wiederbelebter alter und neuer Männer- und Frauenklöster hat, gebe es bei den Melkiten keine eigene monastische Präsenz mehr.

Wie die anderen Kirchen des Nahen Ostens befinde sich die melkitische Kirche an einer Zeitenwende, unterstrich Hanna Ghoneim. Im Nahen Osten stehe ihre Existenz auf dem Spiel. Die zentrale Herausforderung für die Melkiten sei es, in Treue zu ihrer Identität und ihrem theologisch-liturgisch-kulturellen Erbe im Dialog mit den arabisch-muslimischen Gesellschaften ein humanes Menschenbild anzubieten, die Evangelisierung der Kirche voranzubringen und die westlichen Christen die Bedeutung der christlichen Präsenz im Nahen Osten als Beitrag für den Weltfrieden erkennen zu lassen. (forts)

Syrien: „Damit der Krieg aufhört, müssen die Einmischungen aus dem Ausland gestoppt werden“