(aus: Rundbrief 2013/2)

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Das Phänomen Jerusalem in wenigen Sätzen zu beschreiben, ist ein schier aussichtsloses Unterfangen. So reich die Geschichte dieser Stadt ist, so sehr sie Gipfel aller Sehnsucht, heiß umkämpftes Pilgerziel der großen monotheistischen Weltreligionen war und ist, so vielfältig sind auch die Wege, sich ihrem Geheimnis zu nähern.

Die Darstellung der Stadt auf der 1864 in der orthodoxen St. Georgskirche im jordanischen Madaba aufgefundenen, 1884 nach teilweiser Zerstörung wiederentdeckten Mosaik-Landkarte (unten) erschließt in besonderer Weise die Bedeutung, die Jerusalem für die Christen in byzantinischer Zeit hatte. Die um 560 n. Chr. entstandene Landkarte listete ursprünglich 157 biblische Stätten vom Libanon bis nach Ägypten auf. Sie ist berühmt wegen ihrer Detailtreue und historischen Zuverlässigkeit, die besonders auch durch die Ausgrabungen in der Altstadt von Jerusalem vielfach bestätigt wurden.

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Deutlich hebt sich auf der durch Säulenreihen markierten Hauptstraße (dem Cardo) neben dem Baukomplex der Anastasis (der Grabeskirche), die den Golgotafelsen miteinschloss, die am südlichen Ende zum Tempelplateau hin erbaute und am 21. November 543 n.Chr. geweihte „Neue Marienkirche“ ab. Mit dieser Kirche, von deren einstiger Größe heute nur noch Reste der Grundmauern zeugen, verbindet sich das am 21. November begangene Fest „Mariä Darstellung“ bzw. „Mariä Opferung“, nach neuem römischen Kalender der „Gedenktag Unserer Lieben Frau von Jerusalem“. Das Fest der „Darstellung der Gottesmutter im Tempel“ ist in Jerusalem bereits im 4. Jahrhundert belegt, im Westen wird es seit dem 11. Jahrhundert begangen, im Osten, wo es zu den 12 Hauptfesten des Kirchenjahres zählt, wird es seit dem 12. Jahrhundert staatlicher Feiertag.

Das Fest knüpft an das apokryphe Jakobusevangelium (7,1–8,3) an, wo erzählt wird, dass die Eltern Joachim und Anna die dreijährige Maria aufgrund eines Gelübdes in den Tempel bringen und dort Zacharias, dem späteren Vater Johannes’ des Täufers, übergeben. Auf ihrem Weg nach Jerusalem seien sie von Jungfrauen mit brennenden Fackeln begleitet worden, die dem Kind die Trennung erleichtern sollten, indem sie seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die 15 Tempelstufen, die auf die 15 Stufen- bzw. Wallfahrtspsalmen (Ps 120–134) verweisen, habe Maria mit Leichtigkeit bestiegen. 10 Jahre bis zu ihrem 12. Lebensjahr sei sie im Tempel geblieben und habe die heiligen Schriften studiert, gespeist von einem Engel.

Darstellung im Tempel” (griechisch, 17. Jahrhundert) aus der Sammlung Prof. DDr. Ekkart Sauser.
Ikone „Mariä Darstellung im Tempel” (griechisch, 17. Jahrhundert) aus der Sammlung Prof. DDr. Ekkart Sauser.

Die oben abgebildete Ikone aus der Sammlung von Prof. Sauser hält die wesentlichen Momente fest: Die fünf Jungfrauen, die mit ihren brennenden Fackeln zugleich an die fünf klugen Jungfrauen der Evangelien erinnern, die Engelspeisung (links oben) und im Zentrum der Akt der Übergabe, der, wie das Spiel der Hände verrät, von großen Emotionen begleitet wird. Über allem Abschiedsschmerz aber kündet die in das leuchtende Rot der Gewänder getauchte Szene, die ihr Vorbild in der Darbringung des jungen Samuel durch seine Mutter Hanna hat (1 Sam 1), von der Freude, die die Menschen im Haus des HERRN erfüllt.

P. Gottfried Glaßner OSB

„Juble und freue dich, Tochter Zion, denn siehe, ich komme und wohne in deiner Mitte.“ (Sach 2,14)