Die für die Zeit vom 25.9. bis 1.10.2006 anberaumte Reise einer PRO ORIENTE-Delegation mit Kardinal Christoph Schönborn nach Bulgarien (mit offiziellen Empfängen in Sofia, Besuch des Rila- und Ruen-Klosters und der Teilnahme an einer Tagung zum Thema „Bulgarien auf dem Weg. Kirche – Staat – Gesellschaft” in Varna) lenkt den Blick auf jenes osteuropäische Land, dem ich schon seit langem besonders verbunden bin und dessen Entwicklung vor allem im Bereich der religiösen Bildungsarbeit ich immer aufmerksam verfolgt habe.

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In Burgas, einer Stadt am Schwarzen Meer, wirkt Erzpriester Zahari Decev. Ich konnte ihn heuer im Sommer besuchen und ihm die durch die Spendenaktion des Andreas-Petrus-Werks aufgebrachte Summe von E2000,- für den Druck des Lehr- und Lektionsplanes für die Vor- und Grundschule übergeben (Foto). In seinem Namen und im Namen der Bulgarisch-Orthodoxen Kirche danke ich allen Spendern für diese wertvolle Unterstützung.

Ich nützte die Begegnung mit Erzpriester Zahari zu ausführlichen Gesprächen über die gegenwärtige Situation der religiösen Bildungsarbeit in Bulgarien. Ich könnte mir vorstellen, dass das auch die Leser des Rundbriefs interessiert und möchte im Folgenden kurz die aus diesen Gesprächen gewonnenen Eindrücke zusammenfassen.

Der schulische Religionsunterricht in Bulgarien

Der Gegenstand „Religion” kann in den öffentlichen Schulen Bulgariens ab dem Schuljahr 1997/98 unterrichtet werden. Grundsätzlich kann „Religion” als Wahlpflichtgegenstand oder als Freigegenstand von den Schülern gewählt werden. In der Praxis jedoch kommt der Wahlpflichtgegenstand „Religion” nur selten zustande, da die Konkurrenz der Wahlpflichtfächer „Englisch” und „Informatik” zu groß ist. Für den Freigegenstand „Religion” müssen sich in einer Klasse mindestens 13 Schüler/innen anmelden, damit die Religionsunterrichtsgruppe geführt werden kann. Von der 1. bis 8. Klasse steht für den Religionsunterricht nur eine Wochenstunde zur Verfügung, von der 9. bis 12. Klasse ist das Fach zweistündig.

Die Religionslehrer/innen, die eine Theologische Fakultät oder Lehranstalt absolviert haben müssen, haben große Schwierigkeiten, eine volle Lehrverpflichtung zu erreichen. Wer nur weniger als eine halbe Lehrverpflichtung (11 Wochenstunden) unterrichtet, kann nicht als Lehrer angestellt werden, sondern wird auf Honorarbasis entlohnt.

Ab dem Schuljahr 1999/2000 kann auch islamischer Religionsunterricht erteilt werden (10 bis 13 % der Gesamtbevölkerung sind Muslime). Vor kurzem erteilte der zuständige Minister auch die Genehmigung, im Gebiet von Plovdiv, wo es einige überwiegend katholische Dörfer gibt, „Katholische Religion“ zu unterrichten. Im vergangenen Schuljahr unterrichteten in ganz Bulgarien 158 Religionslehrer/innen 13.366 Schüler/innen (9.419 Orthodoxe und 3.947 Muslime) in 206 Schulen. Die Aufsicht über den Religionsunterricht obliegt allein dem Staat, ebenso die Gestaltung der Lehrpläne.

Die pfarrliche Bildungsarbeit

Da sich der schulische Religionsunterricht erst in der Aufbauphase befindet, ist die Katechese in den Pfarren umso wichtiger. Erst wenn es den Priestern gelingt, Kinder, Jugendliche und engagierte erwachsene Gläubige in der Bildungsarbeit zu erreichen, wird die Pfarre zu einer lebendigen Gemeinde mit Ausstrahlungskraft. Der pfarrliche Religionsunterricht wird in sog. Sonntagsschulen erteilt, die es fast in jeder Stadt gibt.

Um einen Einblick zu geben, möchte ich das orthodoxe Bildungszentrum „Christi Himmelfahrt” an der Kirche zu den heiligen Kyrill und Method in Burgas vorstellen, dessen Leiter Erzpriester Zahari Decev ist. Dieses Bildungszentrum besteht aus vier Abteilungen:

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1. Sonntagsschule für Kinder, Jugendliche und Erwachsene

Mehr als 120 Lernende nützen die Angebote der Sonntagsschule. Im kommenden Jahr wird es zum ersten Mal Unterricht für taubstumme Kinder und Erwachsene geben. Für die Arbeit mit den Kindern im Vorschul- und Schulalter (1. bis 4. Klasse), ist der Lehr- und Lektionsplan „Mein Weg als Kind in Christus“ bestimmt, dessen Druck mit Hilfe von Spenden des Andreas-Petrus-Werkes um die Jahreswende erfolgen kann.

2. Orthodoxe Bewegung „Leben”

Ähnlich wie die bei uns bekannte „Aktion Leben“ hilft diese orthodoxe Einrichtung schwangeren Frauen und jungen Müttern in schwierigen Situationen. Hier sind acht Mitarbeiter/innen aus der Pfarre ehrenamtlich tätig.

3. Orthodoxer Pilgerdienst

Zwei Mitarbeiter der Pfarre organisieren Wallfahrten in Klöster und andere heilige Stätten Bulgariens.

4. Sozialer Dienst

Drei ehrenamtliche Mitarbeiter der Pfarre sammeln Kleider und verteilen sie an bedürftige Menschen.
Daraus ist ersichtlich, dass dieses orthodoxe Bildungszentrum auch eine starke soziale Ausrichtung hat. Der Dienst am Mitmenschen erscheint dabei als direkte Frucht der Vertiefung des Glaubens.

Welche Wünsche hat Vater Zahari für die Zukunft?

So weit es seine vielfältige Tätigkeit in Seelsorge und Unterricht erlaubt, würde er gerne weitere Lehr- und Lektionspläne verfassen, die dann für viele Sonntagsschulen eine große Hilfe sein würden: die Lehr- und Lektionspläne „Mein Glaube an Christus” (für Kinder von der 5. bis zur 10. Klasse) und „Mein Leben in Christus” (für Jugendliche und Erwachsene). Weiters träumt Vater Zahari davon, in einem der nächsten Jahre zu einem einmonatigen Studienaufenthalt in den Westen zu kommen, um so auch die Bildungs- und Sozialarbeit der Kirchen im Westen kennen zu lernen und neue Erfahrungen zu sammeln.

Johann Krammer

Religionsunterricht und pfarrliche Bildungsarbeit in Bulgarien