Deesis

„Der Christen warmherziger Schutz und Beistand bist du, Gottesgebärerin, Jungfrau. Drum mit dem Vorläufer flehe an deinen Sohn, dass wir mögen Erbarmen finden.“
(Orthros, Dienstag, 7. Ton)

(aus Rundbrief 2001/2)

Christus in der Mitte, Maria zu seiner rechten Seite, Johannes der Vorläufer zur linken, beide in Gebetshaltung Jesus zugewendet. Diese Gruppe nennen wir Deesis, „Fürbitte“. Entstanden im 7. Jh., hat sie sich aus der Darstellung des endzeitlich wiederkehrenden Christus herausgelöst und seit dem 10. Jahrhundert ihren Platz über der Königstüre der Ikonostase gefunden. Indem sie Maria und Johannes als „Fürbitter“ im Himmel vorstellt, erinnert sie die Gläubigen, die die Kirche betreten, daran, dass sie dem Herrn der Herrlichkeit gegenüberstehen. Sie dürfen sich in ihrer Sehnsucht nach mystischer Begegnung mit den „Fürbittern“ im Himmel vereint wissen.

Maria, die Mutter des Herrn, und Johannes, der Vorläufer des Herrn, führen den Betern vor Augen, dass ihr Gebet und ihre Herzenssehnsucht nicht ins Leere gehen, sondern tragende Säulen der Kirche sind: Das Gebet der Gläubigen, die noch unterwegs sind, klingt zusammen mit dem Gebet derer, deren Lebensweg vollendet ist. Die verewigten Gläubigen beten für jene auf Erden. Sie wiederum können für die Heiligen beten, die zwar in der Nähe Gottes sind, ihn aber bei weitem noch nicht in seiner ganzen Fülle verstanden haben. In den Texten der Eucharistiefeier kommt diese Gebetsgemeinschaft sehr schön zum Ausdruck: „Wir bringen dir diesen geistigen Opferdienst dar für jene, die im Glauben ruhen…, insbesondere für unsere allheilige … Herrin, die Gottesgebärerin und immerwährende Jungfrau Maria. Für den heiligen Johannes, den Propheten, Vorläufer und Täufer… Auf ihre Gebete hin, schau, o Gott, gnädig auf uns herab.“

Die hier abgebildete Deesis-Gruppe stammt aus dem Nachlass des verstorbenen P. Florian. V. Andrej Lorgus, mit dem die Teilnehmer der Pilgerreise der Catholica Unio vom Sommer 1994 in Moskau zusammentrafen, hatte den Kontakt zu jenem Ikonenmaler vermittelt, aus dessen Werkstatt diese Ikonen stammen. Sie sind der Tradition des hl. Andrej Rublev verpflichtet und besonders fein gearbeitet. Heute laden sie uns ein zur Fürbitte für den Verewigten. Im Gebet und im Blick auf Jesus, der „Abglanz der Herrlichkeit Gottes und Abbild seines Wesen“ ist, dürfen wir uns über die Grenze des Todes hinaus mit ihm verbunden wissen. Als Bittende stehen wir gemeinsam mit ihm in einer Reihe mit Maria und Johannes, also mit jenen Menschen, die dem irdischen Jesus verwandtschaftlich und geistlich am nächsten standen und nunmehr den Platz zur Rechten und Linken des verherrlichten Christus einnehmen.

Überirdischer Glanz liegt auf dem Antlitz Jesu. Es ist das „aufstrahlende Licht, das allen leuchtet, die in Finsternis und Todesschatten sitzen…“ (Lk 1,78f.). Dieses Licht spiegelt sich im Anlitz der Gottesmutter und des hl. „Propheten“ Johannes wieder und wird allen zuteil, die ihrem Beispiel und der Einladung des Herrn folgen: „Blickt auf zu ihm, so wird euer Gesicht leuchten, und ihr braucht nicht zu erröten. Die Augen des Herrn blicken auf die Gerechten, seine Ohren hören ihr Schreien. Da ist ein Armer; er rief, und der Herr erhörte ihn. Er half ihm aus all seinen Nöten.“ (Ps 34,6f.)

Hanns Sauter / Gottfried Glaßner OSB

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