Das Jesusgebet

(aus: Rundbrief 2012/2)

Jesusgebet

Der Apostel Paulus legt den Thessalonichern ans Herz, „ohne Unterlass“ zu beten (1 Thess 5,17). Der Ruf des blinden Bettlers von Jericho „Jesus, Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir!“ (Mk 10,47f. par. Lk 18,38f.) steht am Beginn seiner Heilung. Jesus macht ihn bzw. sie (nach Mt 9,27 und 20,30f. sind es zwei Blinde, die Jesus um Erbarmen anflehen) wieder „sehend“. Es waren die frühen
Mönchsväter der Ostkirche, die sich diese Anrufung des Namens Jesu als „immerwährendes Gebet“ zu eigen machten. Die Form „Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner“ ist bereits für das 6. Jahrhundert belegt.

Die Zeit der Kirchenväter kann als die erste Phase in der Geschichte des Jesusgebets gelten. Die zweite Phase wurde ab dem 12. Jahrhundert durch die „Hesychasten“ (die „Schweigenden“) auf dem Berg Athos geprägt, unter deren Einfluss das „schweigend“ im Rhythmus des Atems und Herzschlags vollzogene Jesusgebet zum Angelpunkt ostkirchlicher Spiritualität wurde. Die dritte Phase begann im 16. Jahrhundert in Russland und fand ihre klassische Ausprägung in dem am Ende des 19. Jahrhunderts erschienenen Buch „Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers“. Es wurde in viele Sprachen übersetzt und so die Tradition des Jesusgebets weltweit verbreitet. Im deutschen Sprachraum hat es u.a. durch den Benediktiner Emmanuel Jungclaussen Eingang in das Gebetsleben der Katholischen Kirche gefunden.

Im Jesusgebet wird durch Wiederholung des Namens Jesu unsere Aufmerksamkeit immer mehr auf IHN, unseren Herrn Jesus Christus, gelenkt. Unsere Gedanken werden gebändigt bzw. in IHM verankert. Erst wird dieses Gebet mit den Lippen gesprochen. Es beginnt im mentalen Bereich, um sich dann einen Weg zum Herz zu bahnen. Vom Kopf zum Herz – das ist wohl der längste Weg unseres Lebens. Das Jesusgebet hilft uns dabei, unsere „Mitte“ zu finden und den wahren Frieden und die Freude des Herzens zu erlangen. Indem unser ganzes Wesen durch das Anrufen des Namens Jesu auf IHN ausgerichtet ist, kann ER sich unser erbarmen, uns berühren und uns heilen.

Jesusgebet

Die feste Verankerung in Christus inmitten einer Welt voller Widersprüche und Verirrungen findet ihren sichtbaren Ausdruck in der Gebetsschnur, griechisch Komboskini, russisch Tschotki, mit 30, 33, 50, 100 oder mehr Knoten. In der Ikone, die Serafim von Sarov als den großen Beter Russlands zeigt, gleitet die Gebetsschnur durch die Hände des Heiligen. Nichts lenkt ihn ab. Er „ruht“ in der Gegenwart des HERRN, dem sich sein Antlitz zuwendet und seine Hände entgegenstrecken. Die Anrufung des Namens Jesu hat sein Herz dafür bereitet, den göttlichen Segen aus den Händen des sich ihm in Liebe und Erbarmen zuwendenden HERRN zu empfangen.

Andreas Bonenberger

Monika Hammer über ihre Erfahrungen mit dem Jesusgebet:

Durch die Lektüre des Buches „Erzählungen eines russischen Pilgers“ habe ich vor vielen Jahren das Jesusgebet kennen und schätzen gelernt. Seither ist es für mich ein wesentlicher Teil meines Gebetslebens geworden. Es hat mein Leben verändert und mir eine neue Gelassenheit und Ruhe geschenkt. Mein Sein, mein Bitten, Loben und Preisen darf ich in das große Erbarmen Gottes hineinlegen und mich von der Gegenwart Gottes umhüllt wissen. Selbst in den großen Herausforderungen und Stürmen des Lebens darf ich die innere Gewissheit und Geborgenheit bewahren, dass ER die besten Pläne für mein Leben hat.

Seit einigen Jahren darf ich auch die Erfahrung des Jesusgebetes in der Gruppe machen (im Byzantinischen Gebetszentrum in Salzburg). Das gemeinsame Singen des Jesusgebetes, das Getragensein von einer Gruppe, schenkt mir immer wieder einen tiefen inneren Frieden und eine spürbare Gegenwart Gottes und viel Kraft für die Anforderungen des Alltags.

Das aktuelle Buch zum Thema – Buchtipps zur Vertiefung und Unterweisung im Jesusgebet (Herzensgebet)

  • Andreas Ebert / Carol Lupu (Hg.), Hesychia – das Geheimnis des Herzensgebets. München: Claudius Verl. 2012, 288 Seiten. ISBN 978-3-532-62430-2
  • Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers. Die vollständige Ausgabe. Hrsg. und eingel. von Emmanuel Jungclaussen. Freiburg i.Br., Herder Verl., 12. Aufl. 2005 (Herder Spektrum 4947), 237 Seiten. ISBN: 978-3-451-04947-7
  • Emmanuel Jungclaussen, Unterweisung im Herzensgebet. St. Ottilien: EOS-Verl., 3., verb. Aufl. 2008 (Schriftenreihe des Patristischen Zentrums Koinonia-Oriens), 96 Seiten. ISBN: 978-3-8306-7344-6
  • Emmanuel Jungclaussen (Hrsg.), Das Jesusgebet. Anleitung zur Anrufung des Namens Jesus. Von einem Mönch der Ostkirche. Regensburg: Friedrich Pustet Verl. 8. Aufl. 2008, 72 Seiten.
    ISBN: 978-3-7917-0484-5
Das Jesusgebet