Gründung der Volksliturgischen Bewegung durch Pius Parsch in Klosterneuburg vor 100 Jahren

Pius Parsch (1884–1954), Klosterneuburger Chorherr und Pionier der Volksliturgischen Bewegung, war durch seine zahlreichen Publikationen auch wichtiger Wegbereiter der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils. Univ.-Prof. Dr. Andreas Redtenbacher, Direktor des Pius-Parsch-Instituts, berichtet, dass Kardinal Franz König ihm einmal gesagt habe, es habe kaum einen Konzilsvater gegeben, der nicht zumindest eines der in 17 Sprachen erschienenen Werke von Pius Parsch gelesen hatte (wir empfehlen einen Blick auf das vom Pius-Parsch-Institut produzierte Video https://www.youtube.com/watch?v=sSKUqC–Yl0).

Pius Parsch
Pius Parsch (1884–1954) als Soldat im Ersten Weltkrieg und bei einer „Gemeinschaftsmesse“ in St. Gertrud. – © Pius Parsch-Institut

Es begann in einem Kreis von Interessierten, denen Parsch in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg die Liturgie erklärte. Ein markantes Datum war die Feier der ersten „Gemeinschaftsmesse“ in der romanischen Kirche St. Gertrud in Klosterneuburg im Jahr 1922 – vor 100 Jahren! Es war eine Reform, die von einem vertieften Wissen um die Einheit von Bibel und Liturgie getragen war und sich bewusst der Ökumene öffnete. Pius Parsch ließ sich besonders von den orthodoxen liturgischen Traditionen inspirieren, die er bei seinem Einsatz als Feldkurat im Ersten Weltkrieg in der Ukraine kennen gelernt hatte.

St. Gertrud Klosterneuburg
Die romanische Kirche St. Gertrud in Klosterneuburg, „Wiege der Volksliturgischen Bewegung“ unter Pius Parsch. – © Pius Parsch-Institut

Verschiedene Veranstaltungen erinnerten im Jahr 2022 an die „Wiege der Volksliturgischen Bewegung: Am 22.Jänner im Rahmen der Gebetswoche für die Einheit der Christen ein ökumenischer Gottesdienst in St. Gertrud und am 25. Mai eine vom Pius-Parsch-Institut ausgerichtete festliche Akademie.


Die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils – auch eine Frucht der Wertschätzung ostkirchlicher Traditionen?

Es mag etwas aus dem Blickfeld geraten sein, dass es u. a. die im 19. Jahrhundert entstandene neue Wertschätzung östlicher Theologie, Liturgie und Spiritualität war, die den Weg aus der Engführung der römisch-katholischen Liturgie ebnete. Die Konzilsväter lösten sich aus der Abwehrhaltung gegenüber reformatorischen Bewegungen in Westeuropa, die sich im Anschluss an das Konzil von Trient im 16. Jahrhundert ergeben hatte und die auch die Eigentradition der katholischen Ostkirchen dem Druck aussetzten, sich lateinischen Bräuchen und Regeln anzupassen. Nunmehr entdeckten sie in den anderen Traditionen manches, das im römischen Katholizismus „durch die Ungunst der Zeit“ (Sacrosanctum Concilium 50) verloren gegangen war.

Auch wenn die Liturgiekonstitution (SC) sich nur an wenigen Stellen namentlich auf östliche Traditionen beruft, lassen sich doch einige prominente Elemente benennen, die ohne Kenntnis und Wertschätzung des Orients kein Teil der Liturgiereform hätten werden können. Auf sie soll im Folgenden kurz eingegangen werden.

Die Wiedereinführung des liturgischen Fürbittgebets („Allgemeines Gebet“ oder „Gebet der Gläubigen“, SC 53) wäre kaum denkbar ohne die Häufigkeit, theologische Bedeutung und rituelle Ästhetik byzantinischer Ektenien – umso bedauerlicher, dass Fürbitten im römischen Ritus heute meist nichts anderes sind als ein pflichtgemäßes Ablesen von Texten, die noch dazu oft belehrend und ohne poetische Kraft daherkommen.

Ausdrücklich genannt wird der Osten, wenn es darum geht, in der Liturgie „inniges und lebendiges Ergriffensein von der Heiligen Schrift“ (SC 24) zu fördern – und das nach jahrhundertelanger theologischer Abwertung des Wortes Gottes im Kontext der Liturgie. Wenn auch an dieser Stelle keine konkreten Reformmaßnahmen genannt werden, so ist doch jedes heutige Bemühen, die Heilige Schrift rituell zu stärken, sie beispielsweise im Kirchenraum sichtbar zu machen und ihr einen erfahrbaren Ort im Gemeindeleben zu geben, zumindest teilweise von der Erfahrung östlicher Christen inspiriert, die die Heilige Schrift in der Liturgie ikonengleich verehren.

Als drittes sei die – vom Konzil zunächst nur sehr vorsichtig skizzierte – Erlaubnis zur „Konzelebration“ genannt (SC 57). Hätten nicht die Ostkirchen stets die Praxis des gemeinsamen Eucharistievorsitzes durch mehrere Priester bewahrt, hätte sich Rom wohl ungleich schwerer getan, aus der liturgischen Vereinzelung der Priester, der Klerikalisierung der Liturgie und der theologischen Trennung von priesterlichem Handeln und gemeindlicher Versammlung, die lange Zeit so prägend für den Katholizismus war, sukzessive herauszufinden.

Nach der Verabschiedung der Liturgiekonstitution (1963) vergingen noch einige Jahre, ehe die römische Liturgiereform voll umgesetzt war (1969/70). Mittlerweile hatten das Ökumenismusdekret Unitatis redintegratio und das Dekret über die katholischen Ostkirchen Orientalium Ecclesiarum (beide 1964) weitere Maßstäbe gesetzt und konnten in die Reformarbeit einfließen. Wohl nirgends wird dies so deutlich wie bei der Einführung neuer eucharistischer Hochgebete, für die vor allem östliche Modelle herangezogen wurden. Beinahe wäre sogar die Basilios-Anaphora Teil der römischen Liturgie geworden. – Und wer weiß, vielleicht sind ähnliche Schritte ja auch in Zukunft denkbar, wenn es darum geht, die römische Liturgie unter „Wahrung ihrer Substanz“ (SC 50) und ihrer spezifisch römischen Ritualästhetik (SC 34) so zu gestalten, dass „der eigentliche Sinn der einzelnen Teile sowie ihr wechselseitiger Zusammenhang klarer hervortreten und die fromme und tätige Teilnahme der Gläubigen leichter gemacht wird“ (SC 50). (Liborius Lumma)

100 Jahre Volksliturgische Bewegung – Liturgiereform und Ostkirchen