Wegbegleitung in der Großen Fastenzeit: Der hl. Ephräm der Syrer (303-373)

(aus: Rundbrief 2011/1)

In der 1997 durch Erzbischof Mark eingeweihten Kapelle des hl. Nikolaus an der Kathedrale der heiligen Neumärtyrer und Bekenner Russlands in München (Russ. Orth. Auslandskirche) steht an der Westwand links am Durchgang von der Kapelle zum Hauptschiff der hl. Ephräm. Dies deshalb, weil in der Großen Fastenzeit viele Gottesdienste in der Kapelle stattfinden, in denen das folgende Gebet Ephräms im Zentrum steht:

„Herr und Gebieter meines Lebens: den Geist des Müßigganges, des Kleinmuts, der Herrschsucht und der Geschwätzigkeit gib mir nicht. Den Geist der Lauterkeit, Demut, Geduld und Liebe aber verleihe mir, Deinem Diener. Ja, Herr und König, lass mich meine eigenen Sünden erkennen und nicht meinen Bruder und meine Schwester verurteilen – denn gepriesen bist Du in alle Ewigkeit. Amen.“

Der hl. Ephräm über das Fasten: „Die Zügel für die Leidenschaften ist das Fasten und die Abtilgung der Leidenschaften ist das Gebet mit Wohltätigkeit. Hüte dich vor dem, was der Tugend entgegensteht. Denn wenn Du fastest, aber unsinnig lachst, kannst du leicht stolpern. Von viel Nahrung wird der Geist grob, tüchtige Enthaltung aber reinigt ihn. Derjenige, der dem Bauch schmeichelt, kümmert sich darum, wie er ihn mit Essen füllen soll; nachdem er aber gegessen hat, quält er sich damit, wie er es verdauen soll. Die Enthaltung aber wird von Gesundheit und Munterkeit gefolgt. Das Gebet und das Fasten sind wunderbar. Sie werden durch Wohltätigkeit gestärkt, denn es heißt: ‚Denn Erbarmen will Ich und nicht Opfer‘ (Hosea 6,6).“

Papst Benedikt XVI. über den hl. Ephräm (Generalaudienz am 28.11.2007): „Er war der bedeutendste Vertreter des Christentums syrischer Sprache, und es gelang ihm, auf einzigartige Weise die Berufung des Theologen mit jener des Dichters zu verbinden. Er bildete sich und wuchs heran an der Seite des Bischofs Jakobus von Nisibis (303–338); mit ihm gemeinsam gründete er die theologische Schule seiner Stadt. Nach seiner Diakonweihe nahm er intensiv am Leben der christlichen Ortsgemeinde teil, bis Nisibis im Jahr 363 in die Hände der Perser fiel. Ephräm emigrierte nun nach Edessa, wo er seine Tätigkeit als Prediger fortsetzte. In dieser Stadt starb er 373 als Opfer der Pest, mit derer sich bei der Pflege der Pestkranken angesteckt hatte… Die Dichtung gestattet ihm, die theologische Reflexion durch Paradoxa und Bilder zu vertiefen. Gleichzeitig wird seine Theologie Liturgie, sie wird Musik: Er war in der Tat ein großer Komponist, ein Musiker. Theologie, Reflexion über den Glauben, Dichtung, Gesang, Lob Gottes gehen zusammen; und gerade in diesem liturgischen Charakter tritt in der Theologie Ephräms mit aller Klarheit die göttliche Wahrheit zutage. In seiner Suche nach Gott, in der Art, wie er Theologie betreibt, folgt er dem Weg des Paradoxons und des Symbols. Einander entgegen gesetzte Bilder werden von ihm weithin bevorzugt, weil sie ihm dazu dienen, das Geheimnis Gottes hervorzuheben… Wichtig ist Ephräms Reflexion zum Thema Schöpfergott: Nichts in der Schöpfung ist zusammenhanglos, und die Welt ist neben der Heiligen Schrift eine Bibel Gottes. Wenn der Mensch in falscher Weise von seiner Freiheit Gebrauch macht, stellt er die Ordnung des Kosmos auf den Kopf.“

Fr. Jomy Joseph

Dass die Welt ein „Haus“ (griech. „oikos“) ist, in dem alle Lebewesen und Naturphänomene in ihrer Vielfalt aufeinander bezogen sind und daher die Sünde Adams (das Ausbrechen des Menschen aus dem „Haus“ der Schöpfung) eine Störung in der Schöpfung wie des Verhältnisses zwischen Schöpfer und Geschöpf nach sich zieht, ist eine Art Leitmotiv in Ephräms Werk. Fr. Jomy Joseph, Stipendiat der Syr.-orth. Kirche von Malankara in Salzburg, geht in seiner vor kurzem abgeschlossenen Dissertation der Rolle nach, die der „Integrität“ der Schöpfung in Ephräms theologischem Denken zukommt. Das Ergebnis seiner Studien: Ephräms Theologie ist wesentlich „Öko-Theologie“.

efrem

Die moderne Darstellung des hl. Kirchenlehrers Ephräm, die die Jahreszahl 1997 trägt und sich in Maarat Sayednaya, dem Patriarchensitz und Seminar der Syr.-orth. Kirche in der Nähe von Damaskus, befindet, bezieht sich auf einen Hymnus, in dem Ephräm von einer nächtlichen Vision erzählt. Er sah, wie ihm ein Weinstock aus dem Mund kam, an seinen Reben eine Unzahl von Trauben. Vogelschwärme kamen und ließen sich die Beeren schmecken, die immer wieder nachwuchsen, sobald die Vögel sie aufpickten. – Es ist ein sprechendes Bild für die unerschöpfliche Inspiration des Hymnendichters, dessen abertausende Verse auch der jungen Generation, die heute aus aller Welt in diese Studienstätte kommt, zur nie versiegenden Quelle werden soll.

P. Gottfried Glaßner OSB

Ephräm der Syrer