(aus: Rundbrief 2013/1)

Im Juli 2012 besuchten P. Bonifaz Tittel und P. Sebastian Hacker aus dem Wiener Schottenstift auf Einladung von Weihbischof Efrem (Prosjanok) den an der Grenze zu China bis in die 1980er Jahre für Ausländer praktisch unzugänglichen fernen Osten Russlands, um das kirchliche Leben näher kennen zu lernen.

Das Gebiet der Diözese Priamursk mit der 600.000 Einwohner zählenden Stadt Chabarovsk als Sitz des Metropoliten ist für europäische Verhältnisse riesig, etwa so groß wie Frankreich. Auf dem Gebiet der Metropolie leben 1.440.000 Menschen, davon sind 40% orthodox, 35% bezeichnen sich als Atheisten. Sie ist eine von insgesamt 10 Diözesen im fernen Osten Russlands, die alle aus einer einzigen, im Jahr 1840 durch einen Erlass des Zaren errichteten Diözese hervorgegangen sind. Ihr erster Bischof war der hl. Innokentij (Veniaminov).

Wir waren Gäste im neuen Priesterseminar, das sich in der Nähe der 2003 fertiggestellten Kathedrale befindet. Vor der Oktoberrevolution gab es in Chabarovsk und Umgebung 100 Kirchen. Nur zwei überdauerten die Zeit des Kommunismus. Außer der neuen Kathedrale sind nur wenige Kirchen wieder aufgebaut worden. Für Bauvorhaben gibt es Unterstützung seitens der Behörden, darüber hinaus ist man auf Spenden angewiesen. In Anbetracht der finanziellen und organisatorischen Schwierigkeiten sind die seelsorglichen und kulturellen Aktivitäten beachtlich. Die Diözese betreibt ein einfach ausgestattetes TV-Studio und eine professionelle Homepage. Sie initiierte Projekte für Drogenkranke, Obdachlose und Alkoholiker und veranstaltete 2012 eine Woche des slawischen Schrifttums und der slawischen Kultur. 66 Priester und Diakone betreuen 42 staatlich registrierte und 43 nicht registrierte Pfarren, von denen nur 35 über eine eigene Kirche verfügen. Das Seminar von Chabarovsk beherbergt 50 Studenten, weitere 120 machen ein Fernstudium. Außerdem gibt es theologische Kurse für 120 Laien.

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Wir absolvierten ein dichtes Besuchsprogramm – Museumsbesuche, eine Besichtigungstour mit einer Fahrt über den Amur, der etwa fünfmal so breit ist wie die Donau in Ostösterreich (oben: Blick vom Glockenturm der Kathedrale auf den Amur), ein Radiointerview im Lokalsender Vesti – und hatten viele interessante Begegnungen. Besonders aufschlussreich war die Fahrt zum einzigen Kloster der Diözese, dem mitten in der Taiga an einem See gelegenen, 2003 gegründeten St.-Peter-und-Paul-Kloster. Wir besichtigten die Kirche, ein Gästehaus, das neue Konventgebäude im Rohbau, einen Stall mit neun Kühen und ein Kohleheizhaus. Äbtissin Antonija und die Nonne Paraskeva begleiteten uns ins Gästehaus. Bei Tee, Honig, Süßigkeiten und frischer heißer Kuhmilch ergaben sich gute Gespräche. Im fernen Osten Russlands, wo das Mönchtum durch den Kommunismus erloschen ist, kommt den Nonnen die wichtige Aufgabe zu, vor allem den jungen Menschen zu vermitteln, was ein Kloster ist. Sie pflegen sehr gute Kontakte zu einer staatlichen Schule, so dass ihnen immer wieder Schülerinnen aus schwierigen Verhältnissen anvertraut werden. Die Äbtissin erzählte uns von einer Schülerin, die bei den gebildeten Nonnen Nachhilfestunden nahm, ein Zuhause fand und schließlich ihre Ausbildung abschließen konnte. Sogar Soldaten helfen beim Aufbau – und im Winter beim Schneeräumen. Ihre Kaserne befindet sich nicht weit vom Kloster.

P. Sebastian Hacker und P. Bonifaz Tittel mit Weihbischof Efrem und dem begleitenden Soldaten in der 2009 erbauten Kirche des hl. Märtyrers Dimitrij Solomskij in der Schützen-Kaserne nahe der Siedlung Fürst Volkonskij.
P. Sebastian Hacker und P. Bonifaz Tittel mit Weihbischof Efrem und dem begleitenden Soldaten in der 2009 erbauten Kirche des hl. Märtyrers Dimitrij Solomskij in der Schützen-Kaserne nahe der Siedlung Fürst Volkonskij.

Die Schützen-Kaserne in der Siedlung Fürst Volkonskij verfügt seit 2009 über eine Kapelle des hl. Märtyrers Dmitrij Solomskij. Es ist im fernen Osten Russlands die einzige vollwertige Kasernenkirche. Dort werden jedes Jahr mehr Menschen getauft als in jeder anderen Kirche der Diözese. Seit 2010 waren es 1200 Soldaten, an manchen Tagen sind es mehr als hundert. Sergij, ein Fernstudent des Chabarovsker Priesterseminars, ist zur Betreuung der Kirche abgestellt. Er hat seinen Militärdienst freiwillig um drei Jahre verlängert. Mit strahlenden Augen erzählte er uns von seiner Arbeit mit den Soldaten, die er in Staatsbürgerkunde unterrichtet und auf die Taufe vorbereitet.

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Er erklärt ihnen, wie man in der Kirche betet, Ikonen verehrt, Kerzen anzündet, wie man sich als Christ verhält, was die Grundbegriffe des Glaubens sind. Kurz vor unserem Besuch sprach er mit einem Soldaten, der sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte, weil er nicht beim Militär dienen wollte. Es stünden aber oft mehr Probleme im Hintergrund, familiäre und persönliche, erklärte er uns. Während unseres Rundgangs kam spät abends ein Offizier zur Beichte, die der uns begleitende Bischof abnahm. Wir warteten inzwischen im Refektorium neben der Kirche, wo üblicherweise nach festlichen Gottesdiensten und besonders nach den Taufen Tee getrunken und Pirógen (gefüllte Weckerl) verspeist werden.

Für das Fest der Taufe des Herrn, das nach julianischem Kalender am 20. Jänner begangen wird, heben die Soldaten jedes Jahr im Freien ein neues Becken aus. Der Priester segnet das Wasser. Die Soldaten, überraschenderweise aber auch die Kinder der Offiziere, steigen in das um diese Jahreszeit eiskalte geweihte Wasser, um darin zu baden.

Ob Soldaten oder Nonnen, Studenten oder Museumsmitarbeiter, Religion ist ein Thema im fernen Osten Russlands. Als Besucher aus Westeuropa kann man nur mit Respekt und Interesse die Situation verfolgen und für jeden Erfahrungsaustausch dankbar sein. Obwohl Chabarovsk tausende Kilometer von Wien entfernt ist, verbindet der christliche Glaube. Nach einer solchen Reise verändert sich der Blick auf die Situation der Kirche im eigenen Land. Die Begeisterung und Ernsthaftigkeit im religiösen Leben, die wir gesehen haben, und gleichzeitig die Schwierigkeiten und Herausforderungen, von denen uns berichtet wurde, sind ein Ansporn, weiter in den gemeinsamen Glauben an Christus hineinzuwachsen.

P. Bonifaz Tittel OSB / P. Sebastian Hacker OSB

Einen ausführlichen Reisebericht finden Sie hier.

Jenseits von Sibirien