Ikonen erschließen die Festgeheimnisse des Kirchenjahres

(aus: Rundbrief 2005/1)

Abdo Badwi
Abdo Badwi im Februar 2003 in seinem Atelier an der Heilig-Geist-Universität Kaslik, Beirut.

Zur Jahrestagung der „Initiative Christlicher Orient” (ICO) am 27./28. September 2004 in Salzburg stellte P. Abdo Badwi, Angehöriger des Maronitischen Libanesischen Ordens und Direktor der Abteilung Christliche Kunst der Heilig-Geist-Universität in Kaslik, Beirut, den 2004 geschaffenen, insgesamt 40 Bilder umfassenden Ikonenzyklus zum Kirchenjahr der Maronitischen Kirche vor, der im Anschluss an die Tagung erstmals in Linz in einer Ausstellung zu besichtigen war. Sein künstlerisches Schaffen, das in zahlreichen Mosaiken, Glasfenstern, Fresken, Wandteppichen und Ikonen seinen Niederschlag gefunden hat und in den Kirchenräumen des gesamten Vorderen Orients zu bewundern ist, ist durch Reduktion der Farben und Formen, der Gestik und der Komposition der Figuren gekennzeichnet. Es zielt auf „Vergeistigung” bekannter und vertrauter Inhalte. Die Bilder zum Kirchenjahr, aus denen hier drei Motive vorgestellt werden, leiten in besonderer Weise dazu an, sich dem belebenden Wirken des Gottesgeistes dort zu öffnen, wo sich die Gemeinde allsonntäglich und an den Hochfesten zur Eucharistie versammelt. Sie wollen Wegweiser sein zur Verankerung christlicher Spiritualität im gelebten Miteinander der Gläubigen.

Mariä Verkündigung

Abdo Badwi: Verkündigung

Das liturgische Jahr der Maronitischen Kirche beginnt mit dem Kirchweihfest. Es folgen gemäß der Chronologie der lukanischen Kindheitsgeschichte der Sonntag, an dem der Verkündigung an Zacharias gedacht wird, und der Sonntag der Verkündigung an Maria. Das Fest Mariä Verkündigung, das in unserem Kalender auf den 25. März fällt, ist hier also – chronologisch passender – in die vorweihnachtliche Zeit integriert.

Die Ikone zum Festgeheimnis trägt den Titel „Verheißung des göttlichen Kindes”. Gemäß einer alten Überlieferung spielt die Szene am Brunnen, der durch eine runde Öffnung angedeutet ist, aus der Wasser in einen Krug fließt. Der Engel bewegt sich auf Maria zu, die aus dem Haus tritt, den Kopf leicht geneigt, den Blick in die Ferne gerichtet. Die Überraschung ist ihr ins Gesicht geschrieben – und in die Hände, denen der Spinnfaden fast zu entgleiten droht: Wirklich mir, der kleinen Magd, soll dieser Besuch und diese Botschaft gelten? Wie die Komposition der Epifanie- und die Dreifaltigkeitsikone zeigt, ist es kein Zufall, dass die Geisttaube zusammen mit dem Urelement Wasser auftritt, das unter ihr aus dem Brunnen strömt. Der Geist über den Wassern erinnert an den Schöpfungsmorgen und an den Einbruch der belebenden göttlichen Wirklichkeit in die vom Chaos bedrohte Welt.

Epifanie – Taufe des Herrn

Abdo Badwi: Epiphanie/Taufe

In der Taufe Jesu im Jordan geht es um die Erkenntnis und Anerkenntnis jenes Gottes, der in Jesus Christus Mensch geworden ist. Die in den Evangelien dokumentierte Ausgestaltung der Taufszene als Auftakt seines öffentlichen Auftretens liefert dazu das Anschauungsmaterial. Taufe und Epifanie des Gottmenschen Jesus fallen zusammen. Wir schauen den geöffneten Himmel. Die Hand Gottes, die Geisttaube und die zwischen ihnen stehenden Deuteworte „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe” führen in direkter Linie zu dem im Jordan stehenden Jesus. Zu ihm beugt sich von dem einen Ufer Johannes herab, am anderen Ufer neigen sich ihm zwei assistierende Engel zu. Hinter Johannes ist die karge Wüstenlandschaft angedeutet. Ein verdorrter Baum und die an seiner Wurzel liegende Axt verweisen auf die Bußpredigt des Täufers. Der Jordan erscheint als mächtiger Strom, in unendliche Tiefe und unendliche Ferne reichend, gleich dem Urmeer, über dem der Geist „schwebt”. Auf der Oberfläche des Wassers zwischen Johannes und Jesus zieht eine Feuerflamme die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich – ein Motiv, das Abdo Badwi aus der altsyrischen Ikonografie des Rabbula-Kodex (6. Jh.) übernommen hat und das den Schlüssel zur Deutung des Festgeheimnisses liefert. Johannes zeigt auf den, der „mit heiligem Geist und mit Feuer taufen wird” (Lk 3,16), während er nur mit Wasser taufe. Das Feuer steht für den Geist, der auf Jesus herabgekommen ist, und damit für die göttliche Natur, die sich in Jesus mit der menschlichen Natur verbunden hat, aber so verbunden hat, das sie zugleich „unvermischt” und ohne dass das eine im anderen aufgeht bestehen bleibt, wie eben Feuer und Wasser sich nicht vermischen können.

Dreifaltigkeit

Abdo Badwi: Dreifaltigkeit

Drei Kreise und drei Namen, eingeschrieben in einen großen Kreis, so versucht der Künstler das Geheimnis der Dreifaltigkeit ins Bild zu setzen. Die Hand verweist auf den „Vater”, das menschliche Antlitz auf den „Sohn”, die Taube über Feuer und Wasser auf den „Geist” und Lebensspender.

Gottfried Glaßner OSB

Ikonen im Kirchenjahr